Mirani-Kapitel 7


~Asher~
Mein Blick war starr auf Mirani gerichtet, die sich voller Staunen im Gesicht umsah.
Diese Emotionen ließen sie förmlich strahlen, was mich ungemein faszinierte.
Sie war eine Frau, die viele Fragen aufwarf, die ich nicht beantworten konnte.
Warum hatte sie meine Hilfe abgelehnt? »Soll ich dir das Schiff zeigen?«, fragte ich, denn es gab noch andere Bereiche, die nicht sofort einsehbar waren. Ich nahm an, sie könnten ihr gefallen.
Mirani wandte mir ihren Blick zu und öffnete gerade den Mund, da ging ein Ruck durch das Schiff.
Mirani wankte, während sich die Libellenflügel ausbreiteten, damit wir abheben konnten.
Als ich einen Schritt auf sie zu machte, um sie zu halten, damit sie nicht fiel, wich sie jedoch zurück. Ihr Blick noch immer entsetzt. In ihren silbernen Augen lag Vorsicht.
»Halt dich am besten fest«, sagte ich. Wenn wir abheben, konnte es wackelig werden.
Da ich das schon so gewohnt war, hatte ich gar nicht daran gedacht, sie vorzuwarnen. Allerdings fand ich es auch faszinierend, wie sie reagierte.
Etwas wackelig auf den Beinen lief sie zur Reling und blickte hinab.
Langsam schlenderte ich auf sie zu, während das Schiff unter meinen Füßen wankte.
Ich konnte Mirani ansehen, dass sie sich verkrampft festhielt, um nicht zu fallen, während ich selbst ohne Probleme stand.
Warum nahm sie keine Hilfe an?
»Keine Sorge, es wird besser, sobald wir in der Luft sind«, versicherte ich. Dadurch, dass sie nicht antwortete, kam in mir der Drang auf, sie zum Sprechen zu bewegen. Ich wollte ihre Stimme hören. Sie war überraschend angenehm.
Ein leiser Schrei entwich ihr, als wir schließlich vom Boden abhoben. Er entlockte mir ein Lächeln.
Für mich war ein Flug mit dem Sonnenfalter ganz normal. Ich kannte nichts anderes. Aber für sie musste es ein großes Abenteuer sein.
Der Nebel der Aethelhain-Inseln lichtete sich immer mehr und als wir diesen verließen, spürte ich, wie sich der Druck um mein Herz löste.
Begierig sog ich die Luft ein und konnte endlich wieder frei atmen.
Obwohl ich es nicht gern zugab, waren die Nebelwälder doch ein gefährlicher Ort.
Jetzt, wo ich den Nebel verlassen hatte, wurde mir erst klar, wie sehr er meine Sinne erdrückt hatte.
Der feine, fast zärtliche Duft von Lavendel umspielte meine Nase, bevor er zu einer erdigen, ledrigen Note wurde, die mich an alte Ruinen und verborgene Bibliotheken erinnerte.
Ich hatte gar nicht gewusst, dass der Sonnenfalter so roch.
Neugierig geworden, drehte ich mein Gesicht in den Wind, um den Ursprung zu ergründen. Mein Blick wurde von Mirani angezogen.
Es war ihr Duft!
Wie konnte sie nur so verlockend riechen?
»Ab jetzt sollte es etwas ruhiger werden«, bemerkte ich mit rauer Stimme.
Reiß dich zusammen! Du kannst nicht schon in den ersten Stunden die Beherrschung verlieren, nur weil sie verlockend riecht!
Mirani wandte mir ihren Blick kurz zu, was meine Gedanken jedoch nicht gerade in die richtige Bahn brachte.
Samir hatte Recht behalten. Wir hätten vorher noch einmal Zer’Tahl unsicher machen sollen. Dabei hatte ich so sehr darauf gepocht, dass keine Frau von den Nebelinseln interessant genug war, um meine Sinne zu reizen. Wie sehr hatte ich mich doch geirrt! Aber das lag alles nur an den Hormonen. Nach einer Nacht mit ihr würde ich das Interesse verlieren.
»Wie lange wird der Flug dauern?«, fragte sie, wobei ihre Stimme etwas zitterte.
War das ihr erster Flug? Das erste Mal, dass sie die Aethelhain-Inseln verließ?
»Ein paar Tage«, erwiderte ich.
Genau konnte man das nie sagen. Es konnte zu diversen Problemen kommen. »Wir werden zwischenlanden. Dann kannst du dich erholen«, versicherte ich, auch wenn Mutter und ich das nicht gebraucht hätten. Allerdings mussten wir auch beachten, dass der Sonnenfalter sich auf den Aethelhain-Inseln nicht hatte aufladen können. Dazu war der Nebel zu dicht.
Es war also nötig, ihn einen Tag lang an einer sonnigen Stelle aufzutanken. Sonst liefen wir Gefahr, in der Nacht abzustürzen.
Mirani verzog ein wenig den Mund. Es war schwer zu sagen, was sie dachte. War sie nicht erfreut, dass es so lange dauerte oder dass wir zwischenlandeten?
Sie wandte sich von der Reling ab und hielt sich dann eine Hand über die Augen. Die Sonne war zwar nicht mehr so stark, weil es noch immer leicht bewölkt war, doch im Gegensatz zu den Aethelhain-Inseln war es sehr hell. Es musste sie stören.
»Ich zeige dir das Schiff«, bot ich an, denn es gab durchaus Stellen, an denen die Sonne nicht störte. Ein Muss für die Dämmerwüste. Sonst wären wir bald Grillwölfe.
Mirani blickte mit zusammengekniffenen Augen und leicht verzogenem Mund zu mir, nickte dann aber.
Ich verkniff mir das Lachen, als ich sie erst einmal zum Pavillonbereich führte.
Dort waren wir von der Sonne geschützt, doch statt sich hinzusetzen und erst einmal zu entspannen, wanderte Mirani zwischen den Stühlen umher und besah sich die gewebten Stoffe, die als Schattenspender dienten.
Auf mich wirkte sie unruhig. Sie erinnerte mich an einen gefangenen Hund, der in seinem Käfig hin und her lief. Allerdings war es schwer, mir vorzustellen, dass sie sich eingesperrt fühlte, wenn sie bisher abseits gewohnt hatte.
»Das hier ist der angenehmste Ort auf dem Schiff«, erklärte ich, um sie etwas abzulenken. »Die Runen, die hier verarbeitet wurden, sorgen für eine angenehme Kühlung.«
Kaum hatte ich zu Ende gesprochen, begannen ihre Augen zu funkeln.
Eingängig besah sie sich die einzelnen Pavillonteile genauer. Mit einem Blick, der mir verriet, dass sie sich mit Runen auskannte.
Es sollte mich wundern, da die wenigsten Werwölfe unserer heutigen Zeit noch ein derartiges Wissen besaßen, doch sie war die Tochter der Ahnin aus den Nebelwäldern.
Wer konnte schon sagen, was sie alles von Maeve gelernt hatte.
Ich beobachtete Mirani, die ihre Finger sanft über das Holz wandern ließ. Ob sie versuchte, die Vergangenheit des Schiffes zu lesen? Noch erkannte ich keine Anzeichen, aber es wäre durchaus eine Möglichkeit.
»Achtung«, hallte der laute Ruf meiner Mutter über das Deck.
Ich zuckte zusammen und wirbelte herum. Was zum …?
Noch bevor ich meine Frage aussprechen konnte, wurde der Himmel über uns schwarz.
Ein Kreischen, ein Schlagen von Flügeln, und dann krachte die erste Welle von Vögeln gegen das Schiff.
Federn wirbelten auf, kleine Körper prallten gegen Segel und Reling.
Ich riss den Kopf herum und sah, wie Mirani einen Schritt zurücktaumelte.
»Verdammt!«, knurrte ich und stürzte vor, gerade als ein besonders großer Vogel haarscharf an ihrem Kopf vorbeizischte.
Ohne zu überlegen, riss ich sie an mich. Ihre Schultern waren schmal und angespannt unter meinen Händen, ihr Körper zitterte.
Sie schnappte nach Luft und versteifte sich in meinen Armen. Hatte sie Panik?
Um uns herum klatschten Vögel auf das Deck, flatterten, schrien und schlugen mit den Flügeln.
Die Geräuschkulisse war ohrenbetäubend und doch hörte ich Miranis heftig schlagendes Herz. Ich spürte das leichte Drücken, als würde sie mich wegschieben wollen, es aber nicht können.
Das Schiff schwankte gefährlich unter der Wucht des Aufpralls. Ich hatte alle Hände voll zu tun, uns beide zu schützen.
Mein Rücken prallte hart gegen einen Pavillonpfosten, aber ich ließ Mirani nicht los.
Obwohl sie mich noch immer versuchte, von sich zu drücken, krallte sie sich gleichzeitig fest, als könnte sie sich nicht entscheiden. Ein Herzschlag lang war sie ganz nah bei mir. Ihr panischer Atem an meinem Hals. Ihre Lippen viel zu nah an meiner Haut.
Hitze schoss durch meinen Körper und die Schmerzen, die sich an meiner rechten Seite breit machten, wurden bedeutungslos. Ich wandelte sie in Kraft, um Mirani zu schützen. Ihr durfte kein Kratzer zugefügt werden! Das würde ich verhindern!
Dann, abrupt, drängte sie sich mit einer Kraft von mir weg, die ich ihr nie zugetraut hätte.
»Fass …«, keuchte sie, bleich wie frisch gefallener Schnee. »… mich nicht an!«
Sie stolperte rückwärts. Die Arme fest um sich geschlungen und ihr Blick auf mich gerichtet.
Ich war sprachlos und konnte sie einen Moment nur anstarren. Meine Gedanken waren so von ihr gefangen, dass ich erst nicht bemerkte, dass der Himmel wieder klar war. Die Gefahr war vorüber.
Mein Blick huschte umher.
Überall auf dem Deck lagen sie. Verletzte oder tote Vögel.
Mein Herz hämmerte gegen meine Brust.
Nicht wegen des Angriffs. Wegen ihr.
Ich sah in ihren Augen eine Wahrheit, die mich tief in meinem Inneren traf.
Der plötzliche Schwarm hatte sie nicht so sehr geängstigt wie meine Nähe.
Warum? Ich verstand sie nicht. Warum wollte sie mich nicht berühren? Nicht einmal in so einer Situation.
Was hatte ich ihr denn getan?
Meine Wut knurrte in mir. Hatte ich mir nicht die größte Mühe gegeben, sie zu beschützen? Wie konnte sie mich dennoch so von sich stoßen?
Fell zog sich über meine Arme und meine Finger bogen sich zu Klauen. Bereit, jemanden in der Luft zu zerreißen. Nur gab es kein Ziel für diese Wut.
»Es hätte dich vom Schiff reißen können«, knurrte ich, ohne es zu wollen.
»Ist bei euch alles in Ordnung?«, rief Mutter von ihrem erhöhten Platz aus. So sehr wie das Schiff schwankte, hatte sie wohl Probleme, das Schiff wieder zu stabilisieren.
»Ja«, schrie ich knurrend zurück. »Wir sind nicht verletzt.«
Zumindest erkannte ich an Mirani keine Verletzungen.
Diese blinzelte mehrmals und sah dann vorsichtig zu mir. Zögerlich hob sie ihren zitternden Arm und deutete dann auf mich.
Irritiert folgte ich ihrem Deut und stellte fest, dass mein rechter Arm und meine rechte Seite in Mitleidenschaft gezogen worden waren.
Meine Kleidung hing in Fetzen und irgendwo tropfte Blut zu Boden, doch ich konnte die Quelle nicht sofort finden.
»Nicht wichtig«, brummte ich in ihre Richtung und riss die Fetzen von meinem Körper.
Die Wunden, die sich nun offenbarten, waren unzählig. Kleine und große Risse, Kratzer und kleine Löcher. Die Tiere hatten gut Schaden gemacht, doch ich spürte den Schmerz kaum. Außerdem waren sie bereits dabei, wieder zu heilen.
Ich richtete meine Konzentration wieder auf Mirani, die mich noch immer ungläubig und entsetzt anstarrte.
Die Blässe in ihrem Gesicht ließ einfach nicht nach. Was mich daran jedoch am meisten irritierte war die Tatsache, dass ihre Angst anscheinend auf mich gerichtet war.
Ein Ruck ging durch das Luftschiff, der Mirani von den Füßen riss. Sie taumelte und verlor schließlich doch den Halt.
Ich ließ zu, dass sie gegen meine Brust stieß. Dieses Mal hielt ich sie jedoch nicht, weil ich neugierig darauf war, wie sie reagierte.
Statt sich an mir festzukrallen, drückte sie sich erneut von mir ab, dieses Mal in die Richtung eines Pavillonpfeilers, den sie direkt umarmte.
Das konnte doch nicht wahr sein! Nicht einmal in so einer Situation wollte sie mich anfassen?
Gut, wenn sie sich so sicherer fühlte, sollte sie doch!
»Mutter, was ist da los?«, schrie ich, da das Schiff noch immer schwankte.
»Ein Flügel ist beschädigt. Wir müssen Notlanden«, schrie sie. Ich fluchte innerlich.
Dadurch könnten wir die Kontrolle verlieren und ein Sturz aus dieser Höhe … Mutter und ich könnten vielleicht überleben, doch Mirani?
Das konnten wir jetzt gar nicht gebrauchen!

























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