Mirani-Kapitel 3


~Mirani~
Als ich hinter meinem Bruder das Haus betrat, musste ich nicht hinsehen, um zu spüren, dass wir nicht allein waren. Eine seltsame Spannung lag in der Luft, die ich normalerweise in diesem Gebäude nicht wahrnahm. Das sorgte dafür, dass ich im Türrahmen stehen blieb und meinen Blick auf die Gäste richtete.
Zwei Personen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, saßen bei Mutter auf den Sitzkissen im Hauptraum. Sie verströmten beide sehr deutlich die Aura eines Alphas, sodass der komplette Raum damit erfüllt war.
Sofort spannte ich mich an, während mir ein Schauer über den Rücken lief. Alphas konnten nicht lange zusammen in einem Raum bleiben, ohne dass es krachte, und die Atmosphäre in diesem Raum war bereits zum Knistern angespannt. Angst erfasste mich, als mein Blick die bernsteinfarbenen Augen des Mannes traf. Er strahlte Macht aus, die selbst die meines Bruders in den Schatten stellte und sich wie ein Schleier auf meine Haut legte. Alle meine Härchen stellten sich auf, während ich mich innerlich anspannte. Alles in mir schrie Gefahr.
Er und die Frau neben ihm, die eine ähnlich dunkle Haut hatte, passten nicht hier hinein. Sie mussten aus der Dämmerwüste kommen, denn nur Werwölfe aus diesem Gebiet besaßen derart dunkle Haut. Die feinen, leuchtenden Tätowierungen auf der Haut der Frau bestätigten meine Vermutung.
Mein erster Gedanke war es, umzukehren und zu gehen, bevor mich der Besuch bemerkte. Noch ein Alpha in diesem Raum würde die Spannung vermutlich zum Explodieren bringen. Allerdings bemerkte ich, wie der Mann mich anstarrte, bevor ich umdrehen konnte. Allein, dass er mich bemerkt hatte, zeigte mir, wie fein seine Sinne waren. Es war also zu spät, umzudrehen, ohne gesehen zu werden.
Mein Körper wollte sich nicht bewegen. Die Gäste waren weit von mir entfernt und Kaelen stand vor mir wie ein Schild. Trotzdem kämpfte ich dagegen an, zu gehen. Alle meine Instinkte sagten mir, dass ich nicht mit Fremden agieren wollte. Erst recht nicht mit diesen beiden Alphas. Doch Kaelen hatte mich extra hergebracht und Mutter war auch anwesend. Ihr Blick war fragend, als würde sie mir die Möglichkeit geben wollen, wieder zu gehen, sollte ich mich zu unwohl fühlen. Was der Fall war. Allerdings war ich mir auch meiner Verantwortung bewusst, selbst wenn ich sie die meiste Zeit lieber vergaß.
Als ich erkannte, dass Mutter angespannt war, raffte ich meinen Mut zusammen und tippte Kaelen vorsichtig mit meinen Fingern am Rücken an.
Dieser verstand das Zeichen sofort und machte einen Schritt in den Raum hinein und wandte sich kurz zu mir um, als würde er fragen, ob auch wirklich alles in Ordnung war. Es ließ mich leicht lächeln.
Als er einen Schritt zur Seite machte, um auf mich aufzupassen, bewegte ich mich. Es fiel mir schwerer als gedacht. Ich musste mich sogar dazu zwingen, dass mein Lächeln nicht verrutschte.
»Mutter«, setzte ich an und vermied es, mich zu räuspern. Ich war leise, weil ich es nicht mehr gewohnt war, mit anderen zu sprechen. Es fiel mir so schon schwer, überhaupt Worte aus meinem Mund zu bekommen, da half es auch nicht, dass die Gäste mich nervös machten. »Ihr habt nach mir verlangt?«
Um zu zeigen, dass ich nicht umdrehen würde, machte ich noch einige Schritte in den Raum hinein, auch wenn es mich viel zu viel Kraft kostete. Schon jetzt spürte ich die Erschöpfung, die mich ergriff. Da half es auch nichts, dass Kaelen an meiner Seite blieb. Er würde jeden, der versuchte nach mir zu greifen, aufhalten. Selbst diesen Alpha, der da auf den Kissen fläzte und mich die ganze Zeit anstarrte, als würde er mich für einen Geist halten. Hatte er noch nie eine Frau gesehen?
Mutter erhob sich und schenkte mir ein dankbares Lächeln. »Darf ich Euch meine Tochter Mirani vorstellen?«, fragte sie. Jetzt, wo sie sich sicher war, dass sie nicht wieder ging, war sie bereit, weiterzumachen. Doch warum sorgte ihre Vorstellung dafür, dass mir ein Schauer über den Rücken rann? Weil ich wusste, welche Gerüchte über mich die Runde machten? Dabei hatte ich geglaubt, ich wäre über sie hinweg und würde mich von Worten nicht mehr verletzen lassen. Da hatte ich mich wohl getäuscht.
Alles hatte Vor- und Nachteile. Der Vorteil der Gerüchte war es, dass ich in Ruhe leben konnte. Der Nachteil war der Schaden, den der Ruf meiner Familie dadurch erhielt, auch wenn das weder Mutter noch Bruder zu stören schien.
Ich spannte mich an, als Mutter die beiden als Zahira und Asher Amqar vorstellte.
Eine Vorstellung, die ich nicht gebraucht hätte. Ihre Tuniken und die Goldtätovierungen sprachen für Bewohner der Dämmerwüste.
Zahira war die Frau des Alphas und Asher sein Sohn. Der zukünftige Alpha. Etwas, das er auch ausstrahlte. Seine ruhige Gelassenheit und die Art, wie er mich betrachtete, sorgten dafür, dass ich ihn nicht in meiner Nähe haben wollte. Er wirkte wie jemand, der nicht redete, sondern sofort Taten sprechen ließ. Genau das, was ich nicht gebrauchen konnte. Hoffentlich war er alt genug, um nicht zu impulsiv zu sein. Junge Alphas waren eine Qual, denn sie waren oft nicht in der Lage, ihr Temperament zu zügeln.
Da ich mich in der Gegenwart eines Alphas befand, entschied ich mich dazu, meine Manieren abzustauben und eine leichte Verneigung zu vollführen. Es fühlte sich nicht richtig an. Ich war einfach nicht dazu gemacht, mich so zu verhalten und gleichzeitig wollte ich es im Moment auch nicht anders. Es war wichtig, dass er mich nicht ernst nahm, damit ich mein ruhiges Leben behalten konnte.
»Was kann ich für den Alpha des Dämmersandrudels tun?«, fragte ich, da ich es nicht mochte, zu lange zu warten. Sie sollten ihr Anliegen vortragen, dann würde ich entscheiden, ob ich damit etwas zu tun haben wollte.
Allerdings waren es nicht die beiden Gäste, die das Wort ergriffen, sondern Mutter. »Würdest du uns bitte ein paar Dinge über dieses Artefakt verraten?«, fragte sie mich, wohlwissend, dass ich ihr keinen Gefallen ablehnen konnte. Dabei zeigte sie auf einen kleinen, fast unscheinbaren Goldring.
Die Tatsache, dass sie mich direkt fragte, machte mich unruhig. Sie würde mich nicht einfach so um einen Gefallen bitten. Nicht, um einen derartigen. Es musste wichtig sein, wenn ich sogar meine Fähigkeiten einsetzen sollte. Wollte sie herausfinden, ob ich wirklich in der Lage war, meine Gabe bei unbelebten Gegenständen zu kontrollieren? Aber wozu dann die Gäste?
Außerdem machte ich an ihrer Haltung aus, dass sie etwas beschäftigte, vielleicht sogar bedrückte.
Mein Blick glitt zu Asher, der ungeduldig auf mich starrte. Sein Blick hatte etwas von einem Raubtier, das nach seiner Beute lauerte. Nur würde er sich bei mir die Zähne ausbeißen.
Ich mochte zurückgezogen leben, doch das machte mich nicht zu einer schwachen Frau. Obwohl mir das verstecken und verbergen ins Blut übergegangen war, besaß ich dennoch Klauen und Zähne, wenn es darauf ankam.
Die Versuchung war groß, Ashers Kleidung wie beiläufig zu berühren, um herauszufinden, warum er hier war, doch ich fokussierte mich stattdessen auf den Ring, um den Mutter mich gebeten hatte.
Er lag unscheinbar auf einem Kissen am Boden.
Langsam trat ich darauf zu, bevor ich einen der unsichtbaren Knöpfe an meinem Handgelenk löste.
Sobald die frische Luft meine Haut berührte, spürte ich Unruhe und Sorge in mir aufsteigen. Jetzt nur nichts Falsches berühren und nicht die Konzentration verlieren.
Hautkontakt um jeden Preis vermeiden. Nur den Ring anfassen.
Es war wichtig, dass ich fokussiert blieb.
Unbelebte Gegenstände waren zwar keine so große Qual mehr und es gelang mir in den meisten Fällen, ihre Vergangenheit auszublenden, doch ich hatte noch genug Erinnerungen an eine Zeit, in der das nicht so gewesen war. Es gab jeden Grund für mich, vorsichtig zu sein.
Als meine Finger das kühle Metall berührten, spürte ich bereits ein leichtes Ziehen. Die Vergangenheit wollte mich zu sich holen und ich wehrte mich instinktiv dagegen. Heute jedoch wollte Mutter Antworten und die konnte sie nur bekommen, wenn ich zuließ, dass die Vergangenheit mich zu sich zog.
Also lockerte ich meine Kontrolle etwas.
Der Ruck, der durch meinen Körper ging, zog mich in eine heiße, sandige Gegend. In einen Raum, den ich nicht kannte und der verschwommen vor meinen Augen lag.
Eine Person zeichnete sich klar vor meinen Augen ab. Die dunklen Locken und die bernsteinfarbenen Augen erkannte ich sofort als die von Asher wieder. Allerdings war es nicht immer so, dass ich Personen erkannte oder zuordnen konnte. Daher war es schwierig, Namen zu nennen. Selbst jetzt, wo ich ein paar Szenen mit Asher und Zahira beobachten konnte. Sie waren verschwommen und ich erkannte sie nur, weil ich wusste, worauf ich achten musste.
Ich erkannte, wie Asher das Artefakt an Zahira zurückgab. Da die Vergangenheit von hinten nach vorn auftauchte, musste ich umdenken. Das hieß also, Zahira hatte das Artefakt Asher gegeben und dieser war der aktuelle Besitzer. Es war immer schwer, das Gesehene in Worte zu fassen, ohne vorher lange darüber nachzudenken. »Das Artefakt hat erst vor ein paar Wochen seinen Besitzer gewechselt. Es wurde an den jungen Mann übergeben, der hier im Raum sitzt.«
Die Bilder vor meinen Augen waren nicht immer klar. Sie waren unscharf, verschwommen und manchmal nicht ganz eindeutig. Schon jetzt dröhnte mir der Kopf, weil ich versuchte, etwas in all den Farben zu erkennen, die auf mich einschlugen.
Meine Gabe führte mich vom jetzigen Moment immer weiter zurück in die Vergangenheit. Eine, die einige Zeit lang einfach nur aus Dunkelheit bestand, bis eine Schublade geöffnet wurde und der Ring erneut einen anderen Besitzer hatte.
Ein Mann erschien vor meinen Augen. Der weiße Bart und das goldene Kopftuch waren alles, was ich klar erkennen konnte. Er zog den Ring Zahira vom Finger, was darauf hindeutete, dass er ihn ihr kurz davor angesteckt hatte. Da Zahira in ein schimmerndes Gewand gekleidet war und voller Freude auf den Mann blickte, vermutete ich, dass es sich um ein Geschenk handelte.
Waren das die Informationen, nach denen Mutter suchte? War ich auf der richtigen Spur?
»Kannst du noch etwas weiter zurück gehen? Kannst du herausfinden, wer den Ring geschaffen hat?«, fragte Mutter, was mich überraschte.
Wer ihn geschaffen hatte? War sich Mutter überhaupt bewusst, wie alt dieser Ring war? Ich hatte bereits eine Generation gesehen und spürte noch immer die Last der Vergangenheit. Diese zog mich zu sich und zeigte mir weiter Bilder. Männer, die dem Mann mit Bart ähnelten. Umgebungen, die voller Hitze und Sand waren.
Dann ein klares Bild.
Am Boden lag ein Mann in einer Blutlache. Hinter ihm, mit einem Messer bewaffnet ein anderer. Er steckte den Ring an den Finger des Toten, der sich daraufhin bewegte und aufsetzte. Das Messer fand das ehemalige Ziel. Die Rippen eines Mannes, der eindeutig die Aura eines Alphas ausstrahlte.
Das Gefühl von Verrat packte mich und setzte sich in meinen Knochen fest. Ich wusste, dass ich etwas Bedeutendes miterlebte, weshalb ich die Kraft aufwendete und noch einige Augenblicke zurück ging, bevor ich mir die Vergangenheit des Ringes in der richtigen Reihenfolge ansah. Etwas, das ich normalerweise vermied, waren es doch nicht nur Bilder, sondern auch Emotionen und Worte. Dinge, die schmerzen konnten.
Der Mann, der den Ring trug, wusch sich die Hände im Wasser, als ein stechender Schmerz ihn durchzog. Ich konnte ihn spüren, als wäre es mein eigener. Ein Messer zwischen den Rippen.
Seine Augen weiteten sich, als er betroffen über seine Schulter blickte. Direkt in ein grinsendes Gesicht.
Schock traf mich und dann das überwältigende Gefühl von Verrat.
Blut sickerte aus der Wunde und floss aus dem Mund des Mannes, als er seinen letzten Atemzug tat. »Wie konntest du nur. Br-«, hauchte er, bevor seine Worte zu einem Blubbern aus Blut wurden und er zusammensackte.
»Ein Hinterhalt«, schrie der Mann, der das Messer herauszog und wandte sich von demjenigen ab, den er soeben mit eigenen Händen getötet hatte. Die Bilder waren zu verschwommen, um klare Anhaltspunkte zu finden. Das einzige, was ich sagen konnte war, dass beide dunkle Haut und goldene Augen hatten. Und ihre Stimmen brannten sich in meine Erinnerungen. Besonders, als der Mann, der soeben gemordet hatte, schrie: »Sie haben meinen Bruder ermordet!«
Mir wurde schlecht, während ich versuchte, das Gesehene in Worte zu fassen, damit auch Mutter verstand, was vor sich ging.
Es gelang mir nicht.
Ich begriff nicht, was ich hier sah.
Panisch, als das Ziehen in die Vergangenheit stärker wurde, zog ich meine Hand zurück. Mein Körper zitterte und mein Atem ging schwer, als ich zu meiner Mutter blickte. In meinen Augen sammelten sich bereits Tränen, die ich jedoch zurückhielt. Es war nicht mehr passiert, auch wenn es sich so anfühlte. Ich musste mich zusammenreißen. Das, was ich zu sagen hatte, war nicht für die Ohren fremder.
Mutter verstand und kam sofort zu mir. So nah, dass ich ihr ohne Probleme ins Ohr flüstern konnte, ohne sie versehentlich mit meinen Lippen zu berühren.
Meine Stimme war leise und brüchig, als ich versuchte, ihr zu erklären, was ich gesehen hatte. »Ich glaube … einer der Familie Amqar ist durch Brudermord an den Posten des herrschenden Alphas gekommen«, brachte ich hervor. Ich wusste, dass es nicht viel war, doch ich musste die Informationen und Bilder erst einmal verarbeiten.
Mutter schwieg, bevor sie sich an Zahira wandte, um mit dieser zu sprechen.
Ich versuchte, meinen Körper wieder unter Kontrolle zu bringen, doch die vielen Gefühle, die noch immer durch meinen Körper zuckten, machten es mir nicht leicht.
Als meine Beine drohten, nachzugeben, griff Kaelen nach mir, doch ich wich aus und ging stattdessen auf einem Kissen zu Boden. Ich konnte es jetzt auf keinen Fall gebrauchen, noch mehr fremde Erinnerungen zu sehen. Selbst Kaelens Kleidung könnte im Moment ausreichen, um meine Sinne weiter zu vernebeln und mir den Sinn für die Realität zu rauben.
»Möchtest du einen Tee?«, fragte Kaelen, der mich besorgt musterte. »Oder Riechsalz?«, fragte er verschmitzt, was durch den Schleier der Erschöpfung drang und mich leicht lächeln ließ. Das war ein Witz, den vermutlich nur wir beide verstanden und der angenehme Erinnerungen weckte. An eine unbeschwerte Kindheit mit meinem Bruder. Sie vertrieben die Kälte und Angst aber nur ein Stückchen.
»Tee«, flüsterte ich rau. Im Moment musste ich die Bilder sortieren und die Gefühle, die damit verbunden waren, verstehen und am besten bald wieder loswerden.
Kaelen nickte und blickte dann zu Asher. »Wehe dir, du fasst sie an, während ich den Tee mache«, knurrte er. Die Drohung darin hörte offensichtlich nicht nur ich, denn Asher hob spöttisch eine Augenbraue. Die Aura des Alphas schwoll an und fegte über mich hinweg, als würde sie mich reinigen wollen. Ein Gefühl, das eigentlich unangenehm war, doch heute hieß ich es willkommen. Es half mir, mich wieder ins Hier und Jetzt zu holen. Raus aus den Gefühlen der Vergangenheit.
»Du klingt wie ein liebestoller Trottel, der Angst hat, seine Angebetete würde die Aufmerksamkeit von anderen Männern auf sich ziehen«, schnaubte er herablassend und mit einem Unterton, der mir das Gefühl gab, dass er auf Ärger aus war.
Das Knurren, das die Kehle meines Bruders verließ, war tief und durchzogen von der Autorität eines Alphas, stieß bei Asher aber auf taube Ohren. »Ich meine es ernst. Wenn du sie berührst, schneide ich dir persönlich den Arm ab.«
Ein Schauer rann mir über den Rücken. Diese Drohung war ernst gemeint, da bestand gar kein Zweifel, doch wieso bekam ich plötzlich das Gefühl, lächeln zu wollen?
Vorsichtig hob ich die Hand, doch bevor ich Kaelen berühren konnte, bemerkte ich, dass es meine freie Hand war.
Schnell zog ich sie wieder zurück und versteckte sie in dem Handschuh.
Mein Herz pochte heftig in meiner Brust, weil ich mich selbst zu sehr erschreckt hatte. Das wäre fast schiefgelaufen.
»Schon gut«, brummte Asher und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich werde deine kleine Prinzessin schon nicht kaputt machen.«
Seine Meinung von mir war mir eigentlich egal, doch wie er mit Kaelen umging, machte mich wütend. Dieser Kerl hatte offensichtlich keinen Sinn für Höflichkeiten. Gleichzeitig hatte ich aber auch das Gefühl, dass es eher ein Necken unter Freunden war. Etwas, das mir half, auf andere Gedanken zu kommen. Wie machte er das nur? War es nur seiner Aura zu verdanken, dass ich das Gefühl hatte, nicht mehr schwanken zu müssen?
Dabei war seine Aura alles andere als wohlig. Sie war drückend schwer und kühl. Kein Wolf, der nicht ebenfalls ein Alpha war, würde hier länger bleiben können. Nicht bei einer solchen Stimmung.
Kaelen hatte den Blick auf Asher gerichtet, während er den Raum verließ.
Wäre ich gedanklich nicht noch immer mit dem beschäftigt, was ich gesehen hatte, hätte ich gekichert. Kaelen war einfach der geborene, große Bruder. Ich war stolz, mit ihm aufgewachsen zu sein.
Als er den Raum verlassen hatte, bemerkte ich, dass Ashers goldene Augen mich ansahen. Seine Lippen waren zu einem Lächeln verzogen, das ich jedoch nicht unbedingt als charmant bezeichnen würde. Es hatte etwas zu Raubtierhaftes.
»Du musst dich sicher unwohl fühlen. Entschuldige, diese Stichelei«, sagte er mit einem rauen Ton, der mir einen angenehmen Schauer über den Rücken wandern ließ.
Seine Worte waren freundlich gemeint und vielleicht machte er sich wirklich etwas Sorgen, doch mir war auch klar, dass diese zur Schaustellung seiner Aura beabsichtigt gewesen war. Nur zog das bei mir nicht. Kaelen war mein Bruder und ich war mit ihm aufgewachsen. Es war egal, ob er schwächer als Asher war. Er hatte einen Platz in meinem Herzen und das würde dafür sorgen, dass ich seine Seite ergriff. Selbst, wenn ich die Stärke von Asher nicht leugnen konnte.
»Es gibt keinen Grund für deine Worte«, erwiderte ich so ruhig, wie es mir möglich war. Allerdings zitterte ich noch immer, was aber nicht an ihm oder Kaelen lag. Ihre Neckereien hatten mir zwar geholfen, doch das Gefühl gefangen zu sein, war noch immer präsent.
Asher sah mich mit einem Blick an, den ich nicht verstand. Er hatte etwas Bohrendes. Als würde er auf eine bestimmte Reaktion warten, die ich ihm jedoch nicht gab. Stattdessen entschied ich mich dazu, ihn zu ignorieren und meinen eigenen Gedanken nachzuhängen.
Wer war nur der Mann, der seinen Bruder so heimtückisch ermordet hatte?






























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