Adora-Kapitel 4

Rayan beobachtete Adora sehr genau. Sie hatte eine Art an sich, die sie so unbedarft wirken ließ, dass Rayan die Ruhe und das Licht, das sie ausstrahlte einfach nur genießen konnte. In ihrer Gegenwart fühlte er sich auf eine Art und Weise ruhig und ausgeglichen, wie es ihm bisher noch nie untergekommen war. Vielleicht, weil diese Frau von ihm nichts erwartete. Ein Gefühl, das ihm bisher niemand vermittelt hatte. Jeder wollte von ihm, dass er den Ton angab und sagte, was zu tun war. Immer musste er wissen, was los war und den Ausweg kennen. Das war als Prinz, der ein ganzes Reich führte, unumgänglich.

Als sich Adora schließlich mit ihm hinaus in den Innenhof begab, der in Rayans Augen das Prachtstück des Schlosses war, weil seine Mutter ihn entworfen hatte, hielt sie in einem strahlenden Staunen inne.

Für Rayan war es, als würde sie noch mehr leuchten.

Adora beugte sich hinab und berührte ganz sanft die Blätter einer Blume. Dabei lächelte sie, was Rayan das Herz wärmte. „So schön“, flüsterte sie, wobei sie nicht nur von Rayan, sondern auch von einigen Dienern angestarrt wurde.

Sie hatte etwas so Unschuldiges an sich, wie Rayan noch nie bei einen Menschem gesehen hatte. Am ehesten würde er es wohl mit der Unschuld eines Kindes vergleichen.

Rayan hockte sich zu ihr. „Gefallen sie Euch?“, fragte er, wobei er ihre Finger genau betrachtete. Sie waren so zierlich und zart, dass er sich fragte, ob sie jemals auch nur Besteck in den Händen gehalten hatte.

„Blumen sind so friedlich“, sagte sie, wobei sie etwas ähnliches schon einmal gesagt hatte. Rayan fragte sich, ob sie vielleicht aus einem Kriegsgebiet stammte. Dafür war sie zwar körperlich zu unversehrt, aber ihren Geist schien etwas zu belasten. Als wären da Dinge, die sie hinderten, ihre Ruhe zu finden. Dabei wirkte sie nicht getrieben, wie es für einen Flüchtenden vielleicht üblicher gewesen wäre.

„Kommt mit“, sagte Rayan, der ihr erneut die Hand reichte. Wenn sie die Blumen schon so beruhigend fand, was würde sie dann zum Brunnen sagen? Er wollte es wissen, weshalb er sie direkt darauf zuführen, nachdem sie seine Hand ergriffen hatte.

Der Brunnen zeigte zwei Drachen, die ineinander verschlungen waren. Die Köpfe gen Himmel gerichtet, spukten sie Wasser.



Dieses plätscherte hinab in das Becken und spielte eine sanfte Melodie.

Rayan bemerkte, wie Adora die Augen schloss und lauschte. Ihr Gesicht entspannte sich vollends, was ihn lächeln ließ. Er kannte diese Wirkung. Auch er entspannte sich, während er dem Wasser lauschte.

„Setzen wir uns“, bot er mit gesenkter Stimme an, um den Frieden der Melodie nicht zu stören.

Adora schlug ihre Augen auf, bevor sie ihm langsam folgte. Sie schien darauf zu achten, auf keine Blume zu treten und nur die Steine zu nutzen, die als Weg angelegt waren.

Rayan führte sie zur Bank, die zum Brunnen dazugehörte. Dort ließ er sich mit ihr nieder.

Beide hatten sich gerade entspannt und ihre Augen geschlossen, um zu lauschen, als sich ihnen Schritte näherten.

Rayan öffnete zuerst seine Augen, denn er kannte diese Schritte. Sie gehörten dem Hauptmann seiner Wache.

„Verzeiht die Störung, Eure Hoheit“, sagte er und neigte leicht den Kopf.

Er trug seine braunen Haare wie immer kurz, damit sie ihn nicht stören konnten. Seine Uniform war schwarz mit kupferfarbenen Verzierungen, da Gold nur dem König vorbehalten war. Trotzdem war der Drache, den jeder Mann, der am Schloss arbeitete, auf seiner Kleidung trug, eine goldene Stickerei.

Rayan empfand es nicht als unhöflich, dass Amato ihn störte, denn beide Verband ein freundschaftlichen Verhältnis, da sie sich schon seit Kindertagen kannten.

Amato war sehr zuverlässig und hatte Rayan in der Kunst des Kampfes unterrichtet.

„Was gibt es?“, fragte er versucht ruhig, obwohl er sehr über die Störung verärgert war. Er genoss grade die Ruhe und wusste, dass Amato nur mit schlechten Nachrichten kam. Was nicht seine Schuld war, weshalb Rayan auch eher auf den Verursacher, nicht auf den Überbringer wütend war.

„Ein Kundschafter hat mich gerade darüber informiert, dass eine Kutsche von Königin Rosanna De Luca gesichtet wurde. Sie nähert sich den Grenzen“, informierte der Hauptmann mit ruhiger, klarer Stimme und knappen Worten. Er sprach nie um den heißen Brei herum.

Alarmiert erhob sich Rayan. „Jetzt schon? Sollte sie nicht erst morgen hier erscheinen?“, fragte er überrascht.

Damit hatte er nicht gerechnet, auch wenn er die Kutsche, aber vor allem die Person in dieser, erwartete.



„Es scheint, als wäre die Strecke ungewöhnlich frei“, antwortete Amato, der angespannt wirkte. Rayan konnte es ihm nicht verübeln. Dieser Gast war vielleicht gefährlich, weshalb der Hauptmann sich um die Sicherheit sorgte. Zudem schielte er ab und an auf Adora, die noch immer mit geschlossenen Augen dasaß.

„Informiere meine Berater, dass Prinzessin Rosalia uns früher beehrt. Kontaktiere auch Elmo.“ Damit meinte er seinen Haushofmeister. Dieser kümmerte sich immer um alles. Er wusste sicher, was zu tun war.

Amato verneigte sich und machte sich dann auf den Weg.

Rayan seufzte, da er eigentlich keine Lust auf diese Art von Arbeit hatte, aber er musste. Prinzessin Rosalia war wichtig. Er musste einen guten Eindruck machen, denn er wollte dieses Bündnis mit Königin Rosanna De Luca, die er mit dieser Hochzeit erreichen würde.

„Ihr seht erschöpft aus“, erklang die ruhige, sanfte Stimme von Adora, die irgendwie auch besorgt klang.

Rayan wandte sich ihr zu und bemerkte, dass sie ihren braunen Blick auf ihn gerichtet hatte. Dabei wirkte sie noch immer so strahlend, dass es Rayan fast sofort wieder beruhigte. Als wäre nur sie wichtig. Als würde sie die Sorgen verdrängen, die ihn plagten.

„Es ist nichts“, log er, was dafür sorgte, dass ihr Blick intensiver wurde.

„Ist es in Ordnung, zu lügen?“, fragte sie, wobei sie klang, als wüsste sie es nicht.

Rayan spannte sich an. Er hatte das Gefühl, diese Reinheit zu verletzen, wenn er jetzt das Falsche sagte. Etwas, was ihm überraschenderweise Angst machte. „Nein, ist es nicht“, seufzte er und ließ die Schultern hängen. „Ich bin erschöpft.“

„Dann solltet Ihr Euch ausruhen. Erschöpft begeht man Fehler“, sagte sie sanft.

Rayan wunderte sich, denn sie klang belehrend, doch er fühlte sich nicht so, als würde sie ihn damit tadeln. Mehr, als mache sie sich Sorgen um ihn. Was er nicht verstand.

Er kannte diese Frau nicht und trotzdem wirkte sie, als könne sie ihm in die Seele sehen.

„Ich werden mich ausruhen, sobald alles bearbeitet ist“, sagte er beruhigend, wobei er irgendwie das Bedürfnis hatte, sich zu rechtfertigen. Er als Prinz durfte sich nicht so einfach ausruhen, solange es noch Arbeit gab.



„Ich möchte Euch nicht weiter stören“, sagte Adora plötzlich und schenkte ihm ein vorsichtiges Lächeln. „Danke, dass Ihr mir diesen Garten gezeigt habt. Er ist wunderschön.“

„Ihr seid hier jederzeit willkommen“, sagte er, bevor er sich erhob, da er nicht mehr sonderlich viel Zeit hatte. Dabei würde er lieber hier sitzen und sich mit dieser Frau vertraut machen, die ihm ein Rätsel war. Er liebte Rätsel, war sich aber auch bewusst, dass sie vielleicht gefährlich war. Darum ließ er sie auch von seinen Leuten beobachten. Er würde alles erfahren, was sie tat.

Das würde er ihr allerdings nicht sagen, auch wenn er irgendwie das Gefühl hatte, sie wüsste es bereits.

„Ich würde mich freuen, Euch ab und an hier zu begegnen“, fügte er zu seinen Worten hinzu, denn er war neugierig, wie sie sich hier einlebte. Nil würde ihn auch auf dem Laufenden halten. Sie konnte eine Gefahr sein, die er nicht unterschätzen wollte. Es gab im Moment genügend Versuche, sein Reich zu erobern.

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