Kapitel 12

 

  • 12

 

»Wen nimmst du als Trauzeugen? Iris?«

»Ich werde sie fragen, aber ich glaube nicht, dass sie es macht.«

»Warum nicht? Ich dachte, sie ist deine beste Freundin. Obwohl ich mir unter besten Freundinnen eigentlich etwas anderes vorstelle. Ihr seht euch doch kaum.«

Kerstin verzog schmerzlich das Gesicht und war froh, dass Stefan es nicht sehen konnte. Er saß hinter ihr auf der Couch und sie kuschelte sich an seine Brust. Sie fühlte sich bei ihm geborgen. Und auch nach zwei Jahren begannen in seiner Gegenwart immer noch Schmetterlinge in ihrem Bauch zu flattern. Die Zeit war so schnell verflogen. Sie konnte gar nicht glauben, dass sie nun zusammen ihre Hochzeit planten.

Er hatte recht. Sie und Iris hatten sich wieder angenähert, aber ihr Verhältnis war nie mehr so geworden, wie es vor ihrem Norwegen-Urlaub gewesen war. Sie seufzte. »Es hat ein paar Unstimmigkeiten gegeben«, antwortete sie. »Außerdem nimmt sie es mir übel, dass ich dich ihr weggenommen habe.«

»Was?« Stefan zuckte hinter ihr zusammen. »Wie kommt sie denn auf diese Schnapsidee?«

»Du erinnerst dich an Mortens Abschiedsfete?«

Zärtlich streichelte er ihren Arm. »Wie kannst du sowas fragen? An dem Tag habe ich mein Schicksal getroffen. Wie könnte ich den vergessen?«

Kerstin lachte. »Das hast du lieb gesagt. Aber Iris wollte dich näher kennenlernen. Sie hat mir erzählt, dass sie sich in Mortens Mitbewohner verknallt hat. Ich hatte angenommen, dass sie Uwe meint.«

»Und hast ungeniert mit mir geflirtet und damit ihr Herz gebrochen.«

»Das ist nicht lustig.«

»Stimmt.« Stefan beugte sich zu ihr herunter. »Du hast mir nie davon erzählt.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Es wäre ihr vermutlich nicht recht. Bitte lass dir nie anmerken, dass du es weißt.«

»Natürlich nicht.« Er küsste sie. »Obwohl ich glaube, dass das längst Schnee von gestern ist. Sie hat doch gerade wieder einen Freund.«

»Nein. Seit einer Woche nicht mehr. Sie findet einfach nicht den Richtigen.«

Stefan sah ihr prüfend ins Gesicht. »Weil sie immer noch in mich verliebt ist, meinst du? Machst du dir etwa Vorwürfe, weil du Iris nicht den Vortritt gelassen hast?«

Kerstin schluckte. Ihr Freund legte den Finger pfeilgenau in die offene Wunde. Wenn sie damals etwas aufmerksamer gewesen wäre, hätte sie sicher gemerkt, dass Iris in Stefan verknallt war und nicht in Uwe. Wenn sie sich zurückgehalten hätte, wären sie immer noch die besten Freundinnen. Ob sie sich trotzdem in Stefan verliebt hätte und ihn nun aus der Ferne anhimmeln würde, wie Iris es tat?



Als sie nicht sofort antwortete, nickte Stefan wissend. »Wenn du die Zeit zurückdrehen könntest, was würdest du tun?«

»Genau dasselbe«, murmelte Kerstin leise. Auch wenn sie Iris alles Liebesglück der Erde vergönnte, Stefan gehörte ihr. Ihr allein.

»Da bin ich aber beruhigt.« Er grinste. »Und du kannst aufhören, dir ein schlechtes Gewissen wegen Iris zu machen. Sie hätte bei mir nämlich überhaupt nicht landen können.«

Überrascht sah Kerstin auf. »Nicht? Sie ist viel hübscher als ich.«

»Wenn du meinst. Zum Glück ist deine Meinung hierbei nicht maßgeblich. Ich mag Iris, aber auch ohne dich hätte sie keine Chance bei mir gehabt.«

»Wirklich nicht?«

»Nein. Sie ist einfach nicht mein Typ. Du dagegen schon. In dem Moment, als du zur Tür hereingekommen bist, war mir klar, dass ich dich kennenlernen musste. Dabei hatte ich Angst, dass Morten mir zuvorkommt. Du warst ziemlich lange allein mit ihm. Und das sogar zwei Mal.«

Kerstin lächelte geschmeichelt. Sie hatte nicht gewusst, dass Stefan sie damals so genau beobachtet hatte. Sie wusste jetzt aber auch, dass Morten ihm nie von seiner Liebe zu ihr erzählt hatte. »Wir haben uns bei unserem Norwegen-Urlaub kennengelernt«, sagte sie vage.

»Weiß ich doch. Zum Glück für mich, sonst hätte ich dich nie getroffen.« Stefan drehte eine ihrer Haarsträhnen um seinen Finger. »Ich habe mir überlegt, ob ich ihn bitten soll, mein Trauzeuge zu sein.«

»Was?« Kerstin fuhr so schnell auf, dass ihre Haare unangenehm an der Kopfhaut rissen. »Wieso das denn?«

»Weil er uns zusammengebracht hat. Und immer noch ein sehr guter Freund ist.«

»Hast du in letzter Zeit von ihm gehört?«

»Nicht wirklich. Wir sind beide keine so großen Briefeschreiber. Und Auslandstelefonate sind ziemlich teuer. Das machen wir nicht, wenn es nichts Wichtiges gibt.«

Seit Mortens Abschiedsparty vor über zwei Jahren hatte Kerstin keinen Kontakt mehr zu ihm. Sie hatte befürchtet, dass er sie auch nach seiner Abreise nicht in Ruhe lassen würde, doch ihre Angst hatte sich als unbegründet herausgestellt. Sie hatte ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen, war aber froh, dass er weit weg war. Und nun wollte Stefan ihn wieder in unmittelbare Nähe ziehen. Schlimmer noch, ihn praktisch in die Familie aufnehmen. Wie konnte sie das nur verhindern? Kerstin beabsichtigte nicht, Stefan von Mortens Übergriff am See und seinem Liebesgeständnis zu erzählen. Sie wollte nicht, dass er seinen Freund zur Rede stellte und sich zwischen den Männern ihretwegen noch eine Feindschaft entwickelte.



»Ich finde, du solltest einen Trauzeugen aus der Familie nehmen«, schlug sie vor. »Fabian rechnet doch bestimmt damit.«

»Kann sein.« Stefan schien sich nicht gerne von seiner Idee verabschieden zu wollen.

»Ist es denn überhaupt möglich, als Ausländer Trauzeuge bei einem deutschen Paar zu sein?«, versuchte Kerstin einen letzten Vorstoß.

»Warum nicht? Da sollte es keine Probleme geben.« Stefan musterte sie nachdenklich. »Du willst ihn nicht als Trauzeugen, habe ich recht?«

Kerstin fuhr mit den Zähnen über ihre Unterlippe. So deutlich wollte sie es nicht sagen.

Stefan küsste sie. »Irgendetwas, das ich wissen sollte? Ist zwischen euch etwas vorgefallen?«

Für einen kurzen Moment erwog sie, ihm doch alles zu erzählen. Aber die Sache mit Morten war Geschichte und sie wollte sie nicht mehr aufwärmen. »Nein«, behauptete sie. »Ich finde nur, dass man seine Trauzeugen in der Nähe haben sollte.«

Nachdenklich sah Stefan zur Zimmerdecke. »Kempten oder Bygland, das gibt sich nicht viel. Ich glaube, dass Hamburg da ziemlich in der Mitte liegt.«

Kerstin seufzte. Natürlich wollte er sie nur aufziehen, aber sie war mit ihren Argumenten am Ende.

Stefan grinste und nahm sie in die Arme. »Fabian ist okay. Du hast recht, dass man solche Sachen in der Familie lassen sollte. Ein Studienkumpel als Trauzeuge ist vermutlich nicht die beste Wahl, vor allem, wenn man sich aus den Augen verloren hat. Aber ich möchte Morten trotzdem gerne einladen.«

Dagegen konnte sie wirklich nichts sagen.

»Natürlich. Das ist doch klar. Ich freue mich auch, ihn wiederzusehen.«

Vielleicht hatte er ja keine Zeit. Oder seine heiße Liebe zu ihr hatte sich tatsächlich abgekühlt und ihr erneutes Treffen würde völlig zwanglos verlaufen. Sie hoffte darauf.

 

Prüfend besah Kerstin sich im Spiegel. Normalerweise fand sie sich nicht besonders anziehend, aber sie musste zugeben, dass sich mit Make-up einiges mit ihrem Gesicht anstellen ließ.

Ihre Mutter kam hinter ihr aus einer der Toiletten und gesellte sich zu ihr. »Wie hübsch du aussiehst«, sagte sie lächelnd.

»Danke.« Kerstin trat einen Schritt zurück, damit sie ihr Hochzeitskleid im Spiegel über dem Waschbecken sehen konnte. Es war ein einfaches, weißes Satinkleid mit weitem Rock und ohne viel Schnickschnack, aber es stand ihr ausgezeichnet. Sie gefiel sich.



»Das sagten deine Schwiegereltern auch«, meinte ihre Mutter.

Kerstin verzog das Gesicht. Stefans Eltern waren außerordentlich freundlich zu ihr, aber sie konnte das Gespräch von vor zwei Jahren nicht vergessen. Sie verstanden sich gut und trotzdem hatte sie immer das Gefühl, dass sie die Wahl ihres Sohnes missbilligten. Er hatte in langen Diskussionen versucht, sie davon zu überzeugen, dass es nicht an Kerstin lag, dass er im Norden bleiben wollte. Er hatte eine sehr lukrative Position in einem großen Pharmainstitut gefunden, doch seine Eltern waren der Meinung, dass es in Bayern etwas Ähnliches gäbe. Womit sie vermutlich recht hatten. Kerstin war im Beisein ihrer Schwiegereltern immer ein wenig auf der Hut. Besonders Stefans Mutter konnte es sich nicht verkneifen, ab und zu darauf hinzuweisen, dass ihr Sohn sicher nach Hause zurückgekehrt wäre, wenn er sie nicht kennengelernt hätte. Diese Bemerkungen taten Kerstin weh, obwohl sie wahrscheinlich nicht böse gemeint waren, aber um des lieben Friedens willen schluckte sie ihre verletzten Gefühle hinunter.

»Ich freue mich, dass ihr euch so gut versteht«, sagte sie ehrlich. Es war der erste Besuch ihrer Schwiegereltern überhaupt und zwischen ihnen und ihren Eltern hatte es sofort geklickt. Die Männer hatten sich am Abend zuvor traditionsgemäß über Fußball unterhalten und die Frauen über Blumen und Kochrezepte. Kerstin war erleichtert gewesen, denn sie hatte befürchtet, dass das Ehepaar Rauner an ihren eher unkonventionellen Eltern Anstoß nehmen würde.

Der Tag war einfach perfekt. Der Gottesdienst war sehr schön gewesen, auch wenn sie sich kaum noch an die Predigt erinnern konnte. Der einzige Wermutstropfen war die Tatsache, dass Iris es wirklich rundheraus abgelehnt hatte, ihre Trauzeugin zu sein. Kerstin hatte sie angelächelt und ihr gesagt, dass sie verstand. Doch die Zurückweisung tat weh. Sie hatte viele Freundinnen, bei genauem Hinsehen stand ihr allerdings niemand nahe genug, um ihre Trauzeugin zu sein. Schließlich hatte sie Susanne gebeten, die sich sehr gefreut hatte.

Hinter ihr öffnete sich die Tür und zwei junge Frauen kamen herein. Stefans Cousinen, wenn sie sich recht erinnerte. Sie lächelten ihr zu und verschwanden in dem Gang mit den Toiletten.



Kerstin straffte sich. Sie musste zurück. Sie hatte den Moment der Ruhe genossen, doch es war an der Zeit, sich wieder ihren Gästen zu stellen. Und Morten. Sie hatte ein nervöses Gefühl in der Magengegend, jedes Mal, wenn sie ihn sah. Er sah so verdammt gut aus in dem schwarzen Anzug, der seine vollen blonden Haare zur Geltung brachte und die blauen Augen strahlen ließ. Er flirtete mit den Damen und unterhielt sich mit den Männern, als würde er seit Ewigkeiten zur Familie gehören. Kerstin war sehr darauf bedacht gewesen, nie mit ihm allein zu sein, doch sie hatte nicht den Eindruck, dass Morten das überhaupt wollte. Er hatte sie bei der Begrüßung fest umarmt und ihr gesagt, dass er sie vermisst hatte. Aber das war alles. Keine feurigen Liebesschwüre oder ätzende Vorhaltungen. Er schien tatsächlich über sie hinweg zu sein. Welch eine Erleichterung. Sie hatte schon befürchtet, er würde ihr wieder seine Liebe erklären.

Sie verließ den Waschraum und lief langsam zurück zum Saal. Die fröhliche Musik und das ausgelassene Stimmengewirr drangen aus dem großen Raum und sie lächelte. Es war eine schöne Hochzeit. Ihre Hochzeit.

Das Lächeln gefror auf ihren Lippen, als sie Morten sah, der an der Tür zum Saal lehnte und offensichtlich auf sie wartete. Doch sie hatte sich sofort wieder im Griff und lächelte ihm freundlich entgegen.

»Ich dachte schon, du hast dich weggespült«, grinste er.

»Ich brauchte mal eine Verschnaufpause. Du glaubst gar nicht, wie wunderbar ruhig es im Klo ist.«

Morten lachte herzlich und breitete die Arme aus.

Kerstin zögerte.

»Komm schon, es ist dein Hochzeitstag. Ich will dich umarmen. Das kannst du mir doch nicht verwehren.«

Sie lächelte und stellte erleichtert fest, dass es ihr nicht schwer fiel. Sein Annäherungsversuch bei der Hütte war fast drei Jahre her, es war Zeit, das Vergangene ruhen zu lassen. Sie schmiegte sich in seine Arme und erlaubte ihm, sie festzuhalten.

»Du siehst einfach zauberhaft aus«, murmelte er an ihrem Ohr. »Zum Verlieben schön.«

»Nein, Morten, bitte nicht«, flüsterte sie heiser.

»Keine Angst, ich mache dir hier keine Szene. Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken. Es tut mir leid, was damals passiert ist. In Norwegen und auch auf meiner Abschiedsparty. Ich habe mich einfach unsterblich in dich verliebt und konnte nicht verstehen, dass meine Gefühle nicht auf Gegenseitigkeit beruhten.«



»Verstehst du es jetzt?« Kerstin löste sich aus seinen Armen.

»Ja, das tue ich.«

»Es tut mir wirklich leid, dass ich mich nicht in dich verliebt habe.«

Er grinste. »Es klingt komisch, wie du das sagst.«

»Ja, vermutlich«, lachte sie. »Bist du mir böse, dass ich deinen Freund heirate?«

»Nein, natürlich nicht.« Morten betrachtete sie mit einem versonnenen Ausdruck im Gesicht. »Ich gönne Stefan das Glück, dich bekommen zu haben.«

»Das klingt aber auch komisch.« Kerstin war fest entschlossen, das Gespräch nicht allzu ernst werden zu lassen. »Wie ist es mit dir? Bist du noch Single?«

Morten nickte. »Ich habe für Beziehungen momentan keine Zeit. Meinem Vater geht es gerade nicht besonders gut, ich muss mich deshalb mehr um die Apotheke kümmern. Und meine Schwester erwartet ihr erstes Kind.«

»Ich wusste gar nicht, dass du eine Schwester hast.«

»Sie ist zwei Jahre jünger als ich und wir mögen uns sehr.«

Kerstin nickte. »Du wirst Onkel. Das ist eine tolle Neuigkeit.«

»Ja, ich freue mich auf das Baby. Ich liebe Kinder.«

»Aber das ist alles kein Grund, sich nicht auch selbst eine Freundin zu suchen. Die Frauen müssten doch bei dir Schlange stehen. Hast du gesehen, wie Stefans Cousinen dich anhimmeln?«

»Nein. Glaubst du wirklich?«

In dem Moment kamen die zwei jungen Frauen plaudernd den Flur entlang. Sie warfen Morten verschämte Blicke zu und begannen zu tuscheln und zu kichern.

Er wartete, bis sie im Saal verschwunden waren. »Okay, da muss ich unbedingt nachhaken«, schmunzelte er.

Kerstin wandte sich ab, doch er hielt sie sanft am Handgelenk fest. »Ich werde dich immer lieben, aber ich akzeptiere, dass du dein Glück nicht mit mir findest. Ich will, dass du glücklich bist. Du und Stefan seid ein schönes Paar und ich bin froh, dass ihr heiratet. Er ist ein guter Kerl. Aber wenn du irgendwann Probleme hast, dann komm zu mir. Ich bin immer für dich da.«

»Danke.« Kerstin war gerührt. Und erleichtert, dass er nicht auf seiner Liebe zu ihr bestand. »Du bist auch ein feiner Kerl.« Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und lief schnell in den Saal, wo Stefan auf sie wartete.

 

Wie gut gefällt dir dieses Buch?

Klicke auf einen Stern zum bewerten.

Durchschnitt 0 / 5. Anzahl: 0

Bisher keine Bewertungen

Kommentare