Mirani-Kapitel 5

~Asher~
Wie sie da auf ihrem Sitzkissen hockte und zu Boden starrte, sah sie überhaupt nicht gesund aus. Ihre Haut war vorher schon blass gewesen, doch jetzt war sie kreidebleich. Scheiße. Da hatte ich es wohl übertrieben. Woher sollte ich aber auch wissen, dass sie so anfällig war? Nächstes Mal musste ich wirklich besser aufpassen. Vermutlich hatte sie nur aus Höflichkeit meine Entschuldigung zurückgewiesen und versuchte so zu tun, als würde es ihr gut gehen.
Als Omega musste die Aura eines Alphas noch erdrückender sein. Daran hatte ich nicht gedacht, weil sie Kaelens Schwester war. Der Kerl hatte eine beachtliche Stärke. Gegen mich kam er zwar nicht an, doch ganz ohne war er auch nicht. Warum war sie es also nicht gewöhnt?
Sie war so verletzlich. Solche Frauen wählte ich normalerweise nicht als meine Beute. Ich verstand nicht, warum meine Sinne noch immer von ihr angezogen wurden. Das frustrierte mich. Die Versuchung, sie zu Boden zu werfen und über sie herzufallen, war überraschend groß. Ob sie mir dafür eine reinhauen würde? Würde sie den Mut aufbringen, sich zu wehren? Mit Sicherheit würde ich damit keine Pluspunkte sammeln, also hielt ich mich zurück. Noch.
Was kümmerte mich Ehre oder Kontrolle. Ich war als Alpha geboren, doch nur dank einer seltsamen Laune der Natur. Ich würde mich den Ketten dieser Rolle niemals fügen, auch wenn ich manchmal zuließ, dass sie mich führten. Der einzige Vorteil dieser Aura war es, dass ich mir nehmen konnte, was ich wollte und wann ich wollte. Zumindest außerhalb meiner Familie.
Je länger sie in meiner Nähe blieb, desto weniger wollte ich mich an die Anweisungen halten. Meine Finger kribbelten bei dem Gedanken, auch nur ihre Hand zu halten. Davon würde schon die Welt nicht untergehen.
Gerade, als ich mich erheben wollte, um ihr näherzukommen, kehrte Kaelen zurück. Er richtete als erstes seinen Blick tadelnd auf mich, als hätte ich seiner Schwester bereits etwas angetan. Dabei hatte ich mich lediglich erhoben und blickte ihn nun abwartend an.
Er war wirklich überbeschützend. Warum war er auf einmal so? Vertraute er mir etwa wirklich nicht?
Ich kniff die Augen zusammen, als ich beobachtete, wie er in Miranis Nähe in die Hocke ging. Diese zuckte leicht zusammen und blickte ihn an, als würde sie nicht wollen, dass er in ihrer Nähe war. Die Geschwister wirkten harmonisch. Zumindest Kaelen machte den Eindruck, als würde er sich um sie sorgen. Doch … Warum zuckte sie zusammen? Hatte sie Angst vor ihm? War etwas vorgefallen, weshalb nicht einmal ihr Bruder sie berührte?




Kaelen stellte den Tee auf dem Boden neben ihrem Sitzkissen ab und zog sich dann wieder zurück. So, als würde auch er nicht lange Zeit bei ihr sein wollen.
Was war das nur für ein seltsames Verhalten?
Ich verstand die Beziehung zwischen einem Bruder und seiner Schwester nicht, hatte ich doch selbst nur Brüder, die ich nicht gerade mochte.
Die Dynamik zwischen Mirani und Kaelen machte mich jedoch neugierig und vielleicht ein wenig eifersüchtig. Woher kam dieses Gefühl nur? Es ergab keinen Sinn, dass ich so dachte.
Eine Schwester zu haben, war garantiert auch so nervig wie Brüder. Oder sorgte ihre Zerbrechlichkeit dafür, dass Kaelen so beschützend war? Immerhin konnte ich nicht leugnen, dass ihre Art auch an meinen Instinkten rieb.
Ich hatte noch nie so auf einen Omega reagiert und das machte mich wütend. Vor allem, weil ich wusste, dass ich meine Neugier in diesem Fall nicht einfach stillen konnte.
Eine Bewegung in meinem Augenwinkel zog meine Aufmerksamkeit zu dem Vorhang, durch den meine Mutter schritt. Ihr Gesicht war unbewegt und ihr Blick entschlossen, als sie den Raum betrat. Maeve folgte jedoch nicht, wie ich erwartet hatte. »Kaelen, darf ich kurz mit deiner Schwester allein sprechen?«, fragte sie, wobei sie nicht die gleiche Höflichkeit an den Tag legte, wie sie gegenüber Maeve hatte. Kaelen war zwar ein Alpha, doch Mutter war auch nicht ohne. Außerdem war er nicht ihr Alpha. Für sie gab es nur meinen Vater.
Kaelen blickte zu Mirani, die in einer leichten Geste den Kopf schieflegte. Ihre Blicke trafen sich. Es war unglaublich schwierig für mich, herauszufinden, wer von beiden wessen Bestätigung suchte. Allerdings wurden sie sich irgendwie einig, denn Kaelen nickte meiner Mutter zu und betrat dann den Raum, aus dem sie gerade gekommen war. So blieb ich mit Mutter und Mirani zurück.
Meine Sinne spannten sich sofort an, damit ich auch ja nichts verpasste.
Mutter verharrte einen Moment im Stehen und blickte auf Mirani hinab. Wartete sie, dass diese aufstand, um sich zu verneigen, wie es normal war für einen Wolf, der in der Nähe eines Alphas war?
Mirani zuckte jedoch nicht einmal. Fast, als wäre sie erstarrt. Hatte sie so große Angst mit uns allein zu sein, dass sie nicht einmal den Blick heben konnte?




Sie tat mir fast leid.
Gerade, als ich Mutter erklären wollte, dass ich es vielleicht etwas übertrieben hatte, ließ sie sich gegenüber Mirani nieder. Eine Geste, die ich so gar nicht von ihr erwartet hatte. Ein Zeichen von Aufgabe. Sie überließ Mirani in diesem Punkt das Feld und bestand nicht darauf, ihr Recht durchzusetzen. »Ich danke dir, dass du dir die Zeit genommen hast«, sagte sie zu meiner Überraschung.
Sie lächelte sogar, was mich noch mehr beunruhigte. Der Rangunterschied zwischen den beiden war nicht zu erkennen. Weder in Miranis Haltung noch in der meiner Mutter. Als würde Mutter ihr absichtlich auf Augenhöhe begegnen, um sie zu beruhigen. Etwas, das sie sonst so gut wie nie tat. Allerdings stand auch viel auf dem Spiel.
»Da Ihr den weiten Weg hierher in Kauf genommen habt, muss es etwas Wichtiges sein«, erwiderte Mirani. Ihre Stimme klang wie flüssige Seide und legte sich zart auf meine Haut. Ich erschauderte und meine Härchen stellten sich auf. Wie konnte sie nur so verlockend sein?
»Maeve hat mir erzählt, dass sie dich noch nicht eingeweiht hat. Daher würde ich das gern tun. Mit der Bitte, dass du uns für einige Zeit in die Dämmerwüste begleitest«, sagte sie, wobei ihr goldener Blick ungewohnt hoffend auf Mirani lag.
Ich spannte mich an, mischte mich aber nicht ein. Bis jetzt hatte ich gar nicht darüber nachgedacht, dass Mirani uns vielleicht begleiten würde. Mutter hatte zwar gesagt, dass Maeve uns Hilfe geben wollte, doch ich verstand erst jetzt, dass diese Hilfe Miranis Gabe war.
Die Vorstellung, sie in meiner Heimat zu haben, ließ meine Muskeln vor Anspannung zucken. Mein erster Gedanke war nicht der naheliegendste. Ich sollte darüber nachdenken, was für Geheimnisse sie offenlegte und nicht, wie ich die Zeit nutzen konnte, um sie zu ergründen. Mein Wolf wollte sie zu seinem Besitz machen. Er wollte, dass sie mir gehörte und mir verfiel.
Diese Gedanken bestätigten mir erneut, dass ich nicht als Rudelführer geeignet war. Es musste eine lachhafte Laune der Natur sein, dass ausgerechnet ich mit einer so starken Alpha-Aura geboren wurde.
Ich sollte nicht darüber nachdenken, wie ich Mirani am besten ins Bett bekam. Mein Fokus sollte darauf liegen, ihre Gabe für meine Heimat zu nutzen. Nur machte dieser Gedanke mir wirklich Bauchschmerzen. Allein die Vorstellung, diese sanfte Seele könnte von jemandem benutzt werden … meine Instinkte hatten noch nie so laut geschrien und so langsam verstand ich, warum Kaelen so beschützend war. Mirani machte es einem leicht.




»Ich habe mit deiner Mutter bereits alles wichtige besprochen. Solltest du dich also dazu entscheiden, mit in die Dämmerwüste zu kommen, ist für deine und unsere Sicherheit gesorgt«, erklärte Mutter, die wieder ganz Politikerin war. Fakten und keine Emotionen. Das war ihre Art. Mirani zeigte jedoch keinerlei Interesse an ihren Worten. Fast so, als wären diese Fakten nicht ausreichend, um sie überhaupt zu interessieren. Stattdessen saß sie abwartend da und betrachtete Mutter.
Wartete sie auf mehr? Auf eine Erklärung?
Wenn ich ehrlich war, hätte ich auch sehr gern eine.
Mutter schien auch zu bemerken, dass ihre Taktik nicht so ganz wirkte, weshalb sie schnell weitersprach. »Für uns ist es wichtig, dass du uns einige Zeit unterstützt. Es gibt Probleme, für die wir deine Gabe gut gebrauchen können.«
Kaum waren Mutters Worte verklungen, wurden Miranis Augen dunkel. Ihr Gesicht, das auf mich monoton, fast abweisend gewirkt hatte, wurde plötzlich kalt. Ihr Blick starr.
Das waren eindeutig die falschen Worte gewesen und ich verstand auch sehr gut, warum.
»Was Mutter sagen wollte …«, setzte ich schnell an und zog so ihren Blick auf mich. Ihre silbernen Augen funkelten kalt und mir lief ein Schauer über den Rücken. Meine Instinkte sagten mir, dass es nicht gut war, sie wütend zu machen. »Wir haben Probleme, bei denen wir dringend deine Hilfe brauchen.« Meine Formulierung war nur geringfügig anders, doch es reichte, damit der kalte Ausdruck verschwand.
Ein erleichtertes Seufzen verließ meine Kehle, als dieser Blick nicht mehr auf mir lag.
War dieses Raubtier, das mich angestarrt und mein Herz so zum Rasen gebracht hatte, wirklich Mirani?
Ich konnte beides einfach nicht in Verbindung bringen. Es passte nicht.
In einer Geste legte sie den Kopf schief. Genau wie vorhin bei Kaelen.
Sie blieb sitzen und wartete. Das war meine Chance.
Ich ignorierte Mutters überraschten Blick. Als wäre mir nicht bewusst, wie wichtig diese Situation war. Natürlich verstand ich Miranis Gabe und dass sie uns damit sehr helfen würde. Nur war es definitiv falsch, die Sache so anzugehen, wie Mutter es versucht hatte. Mirani war kein Mittel zum Zweck. So durfte sie sich auf keinen Fall fühlen, wenn sie uns helfen sollte.




»Nicht nur unser Rudel ist in Gefahr«, setzte ich an, damit sie verstand, dass diese Sache keine rudelinterene Angelegenheit war. »Wer oder was auch immer unsere Werwölfe tötet, kann verhindern, dass sie sich zurückverwandeln.« Das war kein Geheimnis. Die Gerüchte darüber mussten mittlerweile auch hierher vorgedrungen sein. Es gab also keinen Grund diese nicht zu nutzen.
Vermutlich hätte ich Mirani mit meiner Alpha-Aura zwingen können, doch das wäre nur ein bitterer Sieg. Niemand könnte sie zwingen, ihre Gabe zu unserem Wohl einzusetzen. Nicht einmal ein Alpha. Zudem war es nie klug, jemanden zu drängen, von dem man sich Hilfe erhoffte.
»Und was ist es, das Ihr von mir wünscht?«, fragte sie, wobei ich einen Moment das Gefühl hatte, ihre sanfte Stimme hätte einen schneidenden Klang. Als wäre das Raubtier für einen Moment wieder an die Oberfläche gekommen. Eine Tatsache, die mich immer mehr faszinierte.
»Wenn du uns in die Dämmerwüste begleitest und deine Gabe nutzen könntest, um herauszufinden, wer die Wölfe tötet, würdest du uns sehr damit helfen«, sagte ich mit versucht sanfter Stimme. Das hatte ich mir von Vater abgeschaut, doch es fühlte sich nicht richtig an. Es gehörte einfach nicht zu mir. Aber hier, in der Nähe von Mirani, wollte ich auf einmal nicht rüde und direkt sein. Ihre Gefühle interessierten mich, verstand ich sie doch nicht.
Wieso war mir das auf einmal wichtig?
Ich bat nicht um Hilfe, ich forderte sie ein, doch Miranis Gegenwart ließ mich ungemein vorsichtig werden. Ich wollte ihr nicht auf die Zehen treten und das erschreckte mich.
Es musste daran liegen, dass sie noch immer so zerbrechlich aussah. Als würde jeglicher Druck von außen dafür sorgen, dass sie zersprang wie Glas.
»Das ist alles? Sobald ich herausgefunden habe, wer sie getötet hat, kann ich wieder gehen?«, fragte sie vorsichtig. Ihre Stimme zitterte, was ich ihr nicht übel nehmen konnte. Mutter starrte sie noch immer an, das musste ihr Angst machen. Außerdem würde ich auch nicht gern mit Fremden in ein anderes Land reisen.
»Das ist richtig«, erwiderte nun Mutter, die sich leise räusperte. »Deine Mutter hat uns verboten, dich zu berühren und es gibt strenge Regeln für die Orte, an denen du dich längere Zeit aufhältst«, erklärte sie, als würde sie so versuchen Miranis Angst zu nehmen.




Wenn ich ehrlich war, verstand ich diese Regeln nicht. Sie würden nur dafür sorgen, dass Mirani ausgegrenzt wurde und niemand sich mit ihr beschäftigen wollte. Es fühlte sich nicht richtig an.
Miranis Blick wanderte zum Fenster, während sich ihre Hände leicht auf ihrem Schoß ballten.
Ich durfte sie nicht so anstarren, aber der Anzug … verdammt. Wie konnte ein Kleidungsstück mehr hervorheben als verdecken? Die Art, wie er ihre Brust umschmeichelte, machte mich wahnsinnig.
Sobald wir zurück waren, musste ich mich unbedingt abreagieren.

Kommentare