Mirani-Kapitel 60

~Mirani~
Innerlich fluchend, lief ich vor Asher her.
Mein Plan, die Rakshasa zu Kaelen zu schicken, damit dieser umdrehte, weil es zu gefährlich wurde, hatte nicht funktioniert. Stattdessen war mein Bruder jetzt nur noch versessener darauf, zu mir zu gelangen. Ich konnte spüren, wie er sich durch die Rakshasa metzelte und der Stadt immer näherkam.
Solange er hier war, konnte ich meinen Nebel nicht zurückziehen. Was aber auch hieß, dass ich nicht einfach so durch das Portal fliehen konnte.
»Dein Bruder kam zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt«, brummte Asher, der nur ein Stück hinter mir lief. So dass ich uns führen konnte.
Ich war froh, dass sich Zahira und Azhar von uns getrennt hatten, auch wenn sich Sorge um die beiden in mir breit machte.
Qadirs Sohn war seinem Vater einfach zu ähnlich. Ich wollte, dass es ihm gut ging, doch ich konnte auch nicht überall sein. Er hatte eine Aufgabe. Als Alpha der Dämmerwüste musste er sein Volk verteidigen. Dabei wollte ich ihn nicht stören.
Ich war hier nur Gast und mein Bruder ging vor.
Dass Asher mir folgte und seine Pflichten dadurch ignorierte, behagte mir nicht, und gleichzeitig war ich erleichtert, ihn in Sicherheit zu wissen.
Später würde ich ihn fragen müssen, wie er zu dieser ganzen Sache stand. Er hatte zwar klar gemacht, dass er kaum etwas für seine Heimat empfand, doch er war dennoch ein Alpha. Diese Instinkte konnte man nicht so einfach ablegen.
»Pass auf«, bemerkte Asher plötzlich und griff nach meinen Arm, um mich zurückzuhalten.
Verwirrt blieb ich stehen, nur um im nächsten Moment meine Umgebung zu realisieren.
Ein Haus war zusammengefallen und blockierte die Straße, in die ich hatte stürmen wollen.
Rauch lag in der Luft und Magie knisterte.
Irgendwo, nicht allzu weit entfernt, erklang ein Kreischen, das mich zucken ließ.
Ein Rakshasa. Sie mussten in der Stadt wütend, doch die Dämmerwüste hatte starke Krieger. Ihre Klingentänzer waren gut ausgebildet. Es gab also keinen Grund, sich einzumischen. Wenn Rashid, wie Zahira behauptete, die Kontrolle über die Rakshasa hatte, würde er diese sicher bald wieder erlangen. So hoffte ich zumindest.
Auch wenn mir Zahiras gemusterte Worte nicht aus dem Kopf gingen. Sie hatten alles getan, was sie konnten, um zu verhindern, dass die Rakshasa ohne Kontrolle wüteten. Deshalb hatten sie Rashid nicht direkt töten können. Nun sah es aber aus, als wäre Rashid nicht mehr in der Lage …




Bevor ich meine Gedanken sortieren konnte, zog Asher mich an seine Brust, drehte sich und beförderte einen der Rakshasa mit einem Tritt gegen die Trümmer des Hauses.
Um uns herum wurde es immer hektischer. Schreie, rennende Mütter mit ihren Kindern und wildernde Rakshasa, die alles anfielen, das irgendwie nach Nahrung für sie aussah.
Ein schlechtes Gewissen machte sich in mir breit, weil ich nicht half, doch dann sah ich, wie ein Rakshasa ein Kind angriff und zwei Klingentänzer es problemlos retteten.
Sie hatten zwar ein paar Probleme mit dem Rakshasa, doch am Ende rollte ein Kopf und die Gefahr war behoben. Fürs Erste.
»Mach dir keine Gedanken. Es ist nicht deine Schuld. Du musst es nicht ausbaden«, sagte Asher ernst, der mir fest in die Augen blickte. Ich erkannte darin ein flüchtiges Flackern.
Machte er sich vielleicht auch Sorgen und Vorwürfe?
»Deine auch nicht«, erwiderte ich, denn irgendwie sagte mir seine Haltung, dass er das dachte.
Ein vorsichtiges Lächeln umspielte seine Lippen, das ich jedoch nicht ganz ernst nehmen konnte. Ihm lag noch immer etwas auf der Seele, doch das hier war nicht der richtige Ort, um diese Dinge aus der Welt zu schaffen.
Ein Schrei erklang und sofort spannte sich Asher an. »Khali«, flüsterte er entsetzt und drehte seinen Kopf suchend umher.
War Khali nicht die Frau, die sich so an Asher herangeworfen hatte?
Obwohl es mir missfiel, dass Asher nach ihr Ausschau hielt, konnte ich die Sorge in seinen Augen doch nicht ignorieren. »Gehen wir, vielleicht braucht sie Hilfe«, sagte ich und ergriff seine Hand.
Als er zu mir sah, war sein Blick überrascht. Als hätte er nicht erwartet, dass ich einen Umweg machen würde, um einer Frau zu helfen. Aber wenn sich Asher Sorgen um sie machte, würde ich sie nicht ignorieren. Erst recht nicht, weil Asher nicht schien, als hätte er viele Leute, um die er sich sorgte.
»Danke«, flüsterte er und lief dann los.
Ich versuchte indes, herauszufinden, ob es wirklich die Frau war, die mir begegnet war und wo sie sich befand.
Mein Nebel gab mir ein recht gutes Bild der Umgebung, auch wenn die Gebäude selbst eher blass und verschwommen waren. Dafür war das Leben, das sich im Nebel abzeichnete, viel zu deutlich.




Das Licht der Menschen, die wild umher rannten und Schutz suchten, machten es mir nicht gerade leicht. Trotzdem gelang es mir, Khali in den Trümmern auszumachen.
»Hier entlang«, sagte ich, als Asher kurz stehenblieb, um sich genauer umzusehen.
Ich zog ihn mit mir durch die Trümmer. Erst, als ein abgebrochener Dattelbaum meinen Weg säumte, verstand ich, wo wir uns eigentlich befanden. Es erschreckte mich, dass dieses Chaos hier der Dattelhain war, den ich noch vor einem Tag bewundert hatte.
Als ich Asher weiter mit mir zog, spürte ich, dass ihn etwas auf dem Weg ablenkte. Ich musste nicht hinsehen, um zu begreifen, dass es wohl die ersten Opfer gegeben hatte. Das Blut, durch das ich schritt, war definitiv nicht von den Rakshasa.
Allerdings kam für die Opfer jede Hilfe zu spät, weshalb ich Asher erbarmungslos weiterzog. So grausam es auch klang: Priorität hatten diejenigen, die Asher und mir am Herzen lagen. In einer solchen Situation konnten wir nicht jeden schützen und der Versuch, das zu tun, könnte am Ende viel mehr Opfer fordern.
Mich hatte der Kampf gegen den Jiangshi sehr viel Kraft gekostet. Mit meinem Nebel versuchte ich die Rakshasa so gut es ging zu verwirren. Rannte man nicht direkt in sie hinein, sollte die Chance zu fliehen, eigentlich groß genug sein. Doch ich wusste auch nicht, inwiefern sich diese Wesen meinen Kräften entgegenstellen konnten.
»Halt durch. Hörst du?«, erklang eine ernste Stimme und nach wenigen Schritten kam die Quelle dieser Worte zum Vorschein.
Es war eine Frau, die nicht so ganz in die Dämmerwüste passen wollte. Ihre Haut hatte ein wunderschönes karamell, war jedoch trotzdem sehr viel heller als die hier übliche Hautfarbe.
Das blonde Haar wirkte blass, wenn man es mit Zahiras verglich, doch ansonsten war sie sehr elegant und zart.
Ihre Hände drückten auf die Brust einer Frau, die noch zwischen den Trümmern verborgen lag.
Blut floss über ihre Finger, die in einem sanften Schimmer pulsierten.
Ich brauchte keinen zweiten Blick, um zu verstehen, dass sie Magie einsetzte, um jemanden zu heilen. Nur war ich unsicher, ob das ausreichte. Die Wunde schien tief und die Schwärze, die sich mit dem Blut mischte, war ein deutlicher Hinweis auf den Rakshasa. Aber wo war er?




»Khali!«, schrie Asher, der sofort nach vorn stürzte und vor seiner Freundin auf die Knie ging.
Ich wollte gerade folgen, um zu sehen, ob ich helfen konnte, da nahm ich im Nebel etwas wahr.
Ein Wesen, das sich schneller bewegte, als ein Rakshasa.
Mein Herz setzte einen Moment aus. Sofort blickte ich zu Asher und dann wieder in den Nebel.
Kälte durchfuhr mich, als mir klar wurde, dass dieses Wesen nicht mich im Fokus hatte. Es näherte sich Asher.
»Asher«, setzte ich an, doch bevor ich die Warnung ausstoßen konnte, sausten klackernde Klauen durch die Luft, schnitten über Ashers Haut, rissen ihn vom Boden hoch und schleuderten ihn durch die Luft.
Sein Blut spritzte und landete auf meiner Wange. Von der Stelle ging eine unglaubliche Hitze aus, die mich aus meiner momentanen Starre riss.
Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, löste ich einen Axtanhänger von meinem Armband und sprang gleichzeitig nach vorn. Während sich die Waffen in meiner Hand noch bildeten, schloss ich die wenigen Meter, die mich von dem Jiangshi trennten.
Wie konnte er es wagen, Asher zu verletzen!
Als hätte er meinen Angriff erwartet, wirbelte er herum und schlang seine langen, klauenbestückten Finger um mein Handgelenk. Mit einer weiteren, unerwarteten Drehung riss er mir den Boden unter den Füßen weg, sodass mein Blick verschwamm und mein Magen rebellierte.
Er schleuderte mich so stark von sich, dass ich Mühe hatte, mich zu drehen.
Meine Reflexe halfen mir, sodass ich nicht direkt in den Trümmer krachte, sondern zumindest mit den Füßen voran, doch ich schnitt mir trotzdem den Arm an den scharfen Kanten auf.
Der stechende Schmerz durchzuckte meinen Körper, doch das Adrenalin, das mich im nächsten Moment erfüllte, betäubte den Schmerz.
Er hatte mich hervorgelockt. Das wurde mir klar, als sein keckerndes Lachen zu mir getragen wurde.
Er hatte es auf mich abgesehen und ich war mir sicher, dass er mich dieses Mal nicht so einfach davonkommen lassen würde.
Ich konnte also nur hoffen, dass er nicht auch noch Asher mit hineinzog.

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