Mirani-Kapitel 17


~Asher~
Schon als Mirani den toten Wolf berührte, spannte ich mich an. Ich musste da sein, so gut ich konnte.
Alle meine Sinne waren auf Mirani fokussiert und meine Aufgabe sie zu schützen. Mutters Kommentar traf auf diese Bereitschaft und ließ mich unruhig werden. Ich hatte Miranis Gabe nun schon mehrmals mit ansehen müssen. Sie schadete ihr in einem Maß, das ich selbst nicht ganz verstand. Dass sie diese trotzdem einsetzte, um uns zu helfen, rechnete ich ihr hoch an. Außerdem war sie ein Gast und noch dazu die Tochter der Ahnin Maeve. Mutter konnte nicht so mit ihr sprechen.
Während ich meinen inneren Wolf zurückhielt, beobachtete ich Mirani. Sie ging umher, berührte wie nebensächlich einen Wachmann und erstarrte kurz.
Ich hielt mich zurück und stürmte nicht direkt auf sie zu. Es war ihre eigene Entscheidung und ich würde erst eingreifen, wenn sie zusammensackte. Das Zittern ihrer Beine war deutlich zu sehen, doch sie hielt sich aufrecht. Sie kam sogar langsam zu uns zurück, als wäre alles in Ordnung. Doch ich sah, wie angespannt sie war.
Als sie erneut den Wolf berührte, ging ein Zittern durch ihren Körper, bevor sie ein Wimmern ausstieß.
Entsetzt sah ich dabei zu, wie sie sich krümmte, als hätte sie Schmerzen.
»Mirani«, rief ich und war mit wenigen Schritten bei ihr, auch wenn ich nichts tun konnte.
Der Wunsch, ihr zu helfen war groß, was ich selbst nicht ganz verstand, doch ich kämpfte dagegen an. Sie zu berühren würde nicht helfen. Was also sollte ich tun?
Ich konnte sehen, dass sie nach Luft rang und immer stärker zitterte. Es war so ganz anders als das letzte Mal. Viel intensiver.
Dann brach sie vor meinen Augen zusammen und in mir knurrte es wütend.
Fluchend ballte ich die Faust, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte.
Mutter stieß einen tiefen Seufzer aus. »Was für ein Reinfall«, murmelte sie mit einer gewissen Enttäuschung in der Stimme. »Ich hab mir wirklich mehr erhofft.«
Es ärgerte mich, dass sie so über Mirani sprach, die hier offensichtlich ihr Bestes gab und für unsere Probleme litt. Aber noch mehr ärgerte mich, dass Mutter so auf sie hinabsah. Dabei dachte ich, sie würde Mirani schätzen, weil sie ihre Hilfe angeboten hatte. Da hatte ich mich wohl geirrt und sie hatte Maeve nur etwas vorgespielt.
»Was sollen wir jetzt tun?«, fragte ich, wobei das Knurren in meiner Stimme zu hören war.
Mutter machte eine wegwerfende Handbewegung. »Lass sie liegen, sie wird schon wieder.«
Dieses Mal unterdrückte ich das Knurren nicht. »Du kannst sie nicht hier in der Hitze lassen. Sie ist ein Gast. Wie willst du das Maeve erklären?«
»Ich bin mir sicher, es stört sie nicht, wenn wir uns um die ausgestoßene Tochter kümmern«, bemerkte sie, was mich die Augen weiten ließ. Hatte sie nicht mitbekommen, wie sehr sich Kaelen und Maeve um Mirani gesorgt hatten? Sie mochte vielleicht eine Omega sein, doch ihre Familie liebte sie.
»Und wenn nicht? Dann werden wir nie erfahren, was sie gesehen hat«, brachte ich durch zusammengebissene Zähne hervor.
Halte deine Wut unter Kontrolle. Mutter ist kein emotionaler, aber rationaler Mensch.
Ich musste es ihr also möglichst so erklären, dass sie die Vorteile sah und verstand.
»Denkst du wirklich, sie hat etwas gesehen? Wahrscheinlich hat das Bild des toten Wolfes sie aus dem Konzept gebracht.«
Diese Worte zeigten mir, dass Mutter offensichtlich gar nicht aufgepasst hatte.
Ich biss die Zähne zusammen. »Weißt du was? Ich kümmere mich um sie und du schaust, ob du etwas über den Wolf herausfinden kannst«, stieß ich hervor. Ich konnte Mirani nicht hier liegen lassen. Die Oase war zwar geschützter und sie lag auf Gras, doch so wie sie atmete, ging es ihr gar nicht gut. Vielleicht hatte sie Fieber. Ihr Gesicht war ganz rot.
Mutter musterte mich, bevor sie den Atem ausstieß. In einer Geste, die mir zeigte, dass ein weiterer Gedanke an Mirani nur Arbeit für sie war. »Wenn du gegen deinen Bruder gewinnen willst, musst du lernen, Prioritäten zu setzen«, sagte sie, winkte dann jedoch ab. Ein Zeichen, dass ich machen konnte, was ich wollte.
Ich brodelte innerlich.
Mein Bruder war wie ich ein Alpha, doch ich hatte keine Probleme damit, ihm die Rudelführung zu überlassen.
Daher verstand ich Mutters Ambitionen auch nicht. Rashid war Vaters Liebling und ein geborener Anführer. Warum wollte sie also unbedingt, dass ich ihn herausforderte und um die Rudelherrschaft kämpfte? Ich hatte kein Interesse daran.
Ohne weiter auf Mutter zu achten, beugte ich mich zu Mirani und nahm sie auf den Arm. Der Mantel schützte sie hoffentlich, bis ich sie in Sicherheit gebracht hatte.
Mit schnellen Schritten machte ich mich auf den Weg zu dem Zelt, das unserer Familie als Rückzugsort für plötzliche Besuche diente.
Da wir auf der Durchreise waren, hatte es niemand gesäubert, doch das war egal. Die Kühle, die durch magische Runen erzeugt wurde, empfing uns und ich konnte Mirani auf einen Haufen aus Kissen legen, die am Boden ausgebreitet waren.
Ihr Atem ging noch immer schwer und Schweiß rann von ihrer Stirn.
Ich musste sie etwas abkühlen, bevor sie Fieber entwickelte.
Ohne groß darüber nachzudenken, machte ich ihr eine Schüssel mit kaltem Wasser fertig und legte ihr schließlich einen nassen Lappen auf die Stirn.
Ständig hatte ich die Sorge, dass ich es mit einer Berührung schlimmer machte, doch ich wollte sie auch nicht einfach so lassen.
Sie war als Gast in unser Land gekommen und ich wollte nicht, dass ihr hier etwas geschah. Zudem war ich für sie zuständig.
Also blieb ich bei ihr, tupfte ihr den Schweiß von der Stirn und hoffte, dass sie bald erwachte.
Draußen legte sich die Nacht über uns, sodass ich ein kleines Feuer entzündete, damit wir nicht erfroren.
Jetzt war es kaum möglich, ohne Mantel hinauszugehen, weil es einfach zu kalt war.
Das schützende Tuch am Eingang des Zeltes wurde zur Seite geschoben und Mutter trat mit einem tiefen Seufzen ein.
»Er trägt dieselbe metallene Kette wie alle anderen«, brummte sie frustriert. Scheinbar hatte sie nicht mehr herausfinden können. Das war ärgerlich, denn mit der Kette konnten wir auch nichts anfangen. Sie war zu dünn, um einen Werwolf zu halten. Aber war sie ein Schmuckstück? Wir hatten sogar spekuliert, dass die Kette ein Zeichen einer Sekte sein könnte und dass diese Wölfe opferten, aber so richtig weiter kamen wir damit auch nicht.
»Keine anderen Hinweise auf seine Herkunft?«, fragte ich angespannt. Wir tappten schon seit Jahren auf der Stelle.
Mutter schüttelte den Kopf. »Nicht einen. Wenn wir doch wenigstens einen Namen hätten.«
Ja, ein Name wäre hilfreich.
»Beidou«, erklang eine raue Stimme, die mich herumwirbeln ließ.
Mirani hatte die Augen geöffnet und starrte an die Decke. Ihr Atem ging noch immer angestrengt.
»Was?«, fragte ich leise. Sie war blass und zitterte am ganzen Körper, rührte sich aber nicht.
»Sein Name war Beidou«, brachte sie hervor. Ihre Stimme kaum mehr als ein Hauchen. »Er gehört zu einer Handelskarawane.«
Triumphierend blickte ich zu Mutter, die ihre Stirn runzelte. Sie wirkte nicht, als würde sie glauben, was Mirani gesagt hatte.
Allerdings nickte sie. »Damit kann ich arbeiten.« Statt Mirani weiter auszufragen, was sie vielleicht gesehen hatte, wandte sich Mutter um und verschwand erneut aus dem Zelt. Fast so, als würde sie es nicht lange in Miranis Gegenwart aushalten.
Ich hingegen trat auf Mirani zu, um neben ihr in die Hocke zu gehen. »Brauchst du etwas? Möchtest du darüber reden, was du gesehen hast?«, fragte ich, denn die Chance, das noch mehr Informationen ans Tageslicht kamen, war groß. Nur wollte ich Mirani auch nicht überfordern. Ihr Körper kämpfte ganz offensichtlich mit den Folgen ihrer Gabe.
Miranis Lippen bebten und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Würde sie nicht schon liegen, hätte ich Angst, dass sie zusammenbrach.
Dann tat sie etwas, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Sie streckte ihre Hand, um damit meine zu berühren. Zittrig und schwach, aber ohne auch nur zu zucken.
Ich hielt die Luft an, während ich mich versteifte. Gleich würde der Moment kommen, in dem meine Vergangenheit sie so aus der Bahn werfen würde, wie die letzten Male, doch sie erwiderte lediglich meinen Blick. Ohne ein einziges Anzeichen, dass sie Probleme hatte.
Stattdessen krallten sich ihre schlanken Finger leicht in meine Hand. Würde ich meine um ihre schließen, könnte ich sie damit ganz einfach zerquetschen.
»Ich … Ich glaube … er wurde gefoltert«, flüsterte sie, wobei ihre Stimme mehrmals brach. Die Angst in ihren Augen sprach Bände und in dem Moment wurde mir klar, dass sie kein einfacher Beobachter gewesen war.
Sie hatte erlebt, was dieser Mann vor seinem Tod erlebt hatte. Und vermutlich sogar den Tod selbst.
Ich konnte mir die Qualen kaum vorstellen, die sie durchlebt haben musste. Wieso hatte sie zugestimmt zu helfen, wenn sie selbst dabei so sehr litt?
































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